TRANSFORMER – Übertragung

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Die hier besprochene künstlerische Arbeit von Marcel Tarelkin (M.T.) mit dem Titel „Transformer“ dient der Sichtbarmachung vom DrittenDie Dritte bin heute ich und also darf die Beschreibung des Ausstellungseffekts meine Sichtbarkeit enthalten und zum Zentrum nehmen – vielleicht eine Sichtbarkeit, in der sich andere wiederfinden können.

Will ich geschmeidig in den Raum des S T O R E eintreten, verwehrt eine Pressspannplatte mir den Weg ins Innere. Zwischen Schaufenster und aufgestellter Behilfswand hindurchpressend, eine 180 Grad Drehung vollführend, sitze ich schon fast am Tisch in der Mitte des kleinen Raumes. Auf dem Tisch liegen auf altrosa-bedrucktem Papier Heftchen mit dem Titel „Dialogues“. An der hinteren Wand im Miniformat ist ein Video zu einer gefilmten Gesprächssituation projiziert. Im Video sitzen M.T. und sein Gesprächspartner sich am Tisch gegenüber und führen einen emotionslosen und leeren Dialog.

Das förmliche Durch-quetschen, um in den „Gesprächsraum“ einzutreten, erzeugt eine Intensität, die sich auf meinen Körper überträgt. Zum einen ist es ein körperliches Dazwischen-quetschen zum anderen ein geistiges Dazwischen-quetschen. Die Objekte Tisch und zwei Stühle wiederholen sich physisch im Raum sowie als Projektion an der Wand. Die physische Tischsituation bleibt jedoch unbesetzt, wirkt steril und eigenartig gezwungen. Ähnlich gezwungen wirkt die gefilmte Dialogsituation, wohl wissend dass der geführte Dialog aufgezeichnet wird, wirken die Gesprächspartner verkrampft. Auf mich wirkt die Emotionslosikeit, mit der über Banalitäten gesprochen wird, innerlich befremdlich und äußerlich abstoßend. Es gibt nichts, was mich weiter hinschauen lässt. Im Gegenteil es langweilt mich so sehr, dass ich noch einem Smalltalk der Umstehenden lausche, um die Zeit tot zu schlagen. Schließlich schnappe ich mir eines der kostenlosen Heftchen und presse mich wieder aus dem „Gesprächsraum“ heraus, um nach Hause zu gehen.

Die aufgezeichneten Dialoge wurden von M.T. mit ihm guten Bekannten geführt, dann transkribiert, abgedruckt und sind sowohl als Heftchen kostenlos erhältlich, als auch als Video im
S T O R E zu sehen. Lauscht man den Banalitäten des Dialoges, könnte man es als Materialverschwendung bezeichnen und es fragt sich der Künstler selber, wer so etwas kaufen würde. So zugänglich seine Arbeit beim erstem Anblick und Gehör erscheinen mag, desto komplexer entwickelt sich das Besprochene auf dem zweiten Blick, genauer gesagt beim Zwischen-den-Zeilen-Lesen des Heftchens „Dialogues“. M.T. zufolge, solle man es als ein Experiment betrachten, welches dann von ihm als Produkt behauptet wird. „Ein leeres, emotionsloses Produkt“ (M.T.). Das Produkt – ein Dialog. Es gibt keine zielgerichteten Fragen von M.T. an seine ausgewählten Gesprächspartner. Dennoch geben die Dialoge Einblicke und mögliche Antworten auf Hoffnungen des Künstlerdaseins, das Social Networking des Ausstellungsmachens, dem Projekt selbst sowie Banalitäten über Filme, Verwandte und Bekannte.

Zu Hause angekommen, lese ich mir in Ruhe „Dialouges“ durch. Beim Erinnern an die Situation in der Ausstellung werde ich das Gefühl nicht los, dass M.T. genau diese Situationen kritisiert. Welchen Sinn hat es also, etwas zur Disposition zu stellen, wenn es keinen interessiert, was einem geboten wird, es zu keiner Resonanz kommt, es keinen aufregt, ergo keine Emotionen erzeugt? Die Dopplung der physischen mit der projizierten Tisch-ZweiStühle-Dialog-Situation ist ein Spiegel gängiger Vernissagensituationen. Sehen und Gesehen-Werden, Smalltalken und wieder gehen.

M.T.: „Aber warum werden immer wieder die gefragt, warum wird jemand zu einer Ausstellung eingeladen und der andere nicht? Ich denke, es hat gar nicht so viel mit den Arbeiten zu tun, sondern vielmehr mit sozialen Networking. Aber jemand der jetzt zum Beispiel nicht ganz so sozial kompetent ist, der steht dumm da. […] Ich habe das schon ein paar mal versucht. Da dachte ich, ich spreche jetzt einfach mal eine fremde Person an. Aber das kann auch richtig in die Hose gehen, weil in dem Moment, wo jemand fremdes, den du nicht kennst, zu dir kommt und ein Gespräch anfängt, kann das schon irgendwie ein bisschen suspekt wirken.“

Möglichst viele Ausstellungen muss der/ die Künstler_in vorweisen können, ungeachtet der Relevanz seiner/ ihrer Arbeiten. So funktioniert das Kunstsystem. Die Frage nach dem Sinn des eigenen Handels drängt sich auf. Der Dialog ist ein Handel, ein Verhandeln über einen Gegenstand. Gegenstand hier ist der Dialog per se. Also es geht um die Sache selbst und dem Bedürfnis miteinander zu sprechen. Die leeren Stühle in der physischen Dialog-Situation können als Metaphern dessen betrachtet werden, diese bleiben leer und sind rein funktional in M.T. Raumkonzeption. Alle Künstler arbeiten in Übertragungsvorgängen mit dem gewählten Material beziehungsweise dem jeweiligen Medium. Der Durchgang durch den „dritten Körper“ ist Teil der Kunstproduktion selbst. Der Künstler organisiert und tritt ein in verschiedene materielle Übertragungsprozesse. Diese verwandeln auch ihn selber, also „heilen“ einen Teil seiner Wunden.

Vieles muss sich ändern. Ich ahne, dass es nicht wie bisher weitergehen kann, doch klare Ziele gibt es auch keine. Schlagen wir die Zeit also tot (durch Banalitäten). Der Schlag ist eine heftige, abrupte Geste, die uns für einen Bruchteil der Sekunde von Gedanken befreit und unser Dasein im Jetzt wahrnehmen lässt. Dieser Bruchteil einer Sekunde ist wie ein Schock, danach wird es nicht so weiter gehen wie zuvor. Es hat sich mit dem Schlag etwas verändert. Nur wenn etwas abstirbt, kann etwas Neues wachsen, insofern ist der Tod hier positiv gemeint. Ohne Zeit hört jede Sicherheit auf. Mit dem Schlag haben wir uns gefühlt, das gibt zumindest noch emotionale Sicherheit. Alle äußerlichen Sicherheiten waren Illusionen.

Der Ausstellungstitel „Transformer“ – Veränderung nährt Erwartungen. Doch wo genau passiert die Veränderung? Persönlich hat es mich in dem Wunsch nach Dialogen bestärkt und motiviert, über seine Arbeit zu schreiben. Der Dialog ist ein Prozess, in dem sich etwas verändert und entwickelt. Lese ich in chronologischer Reihenfolge die von M.T. geführten Dialoge durch, scheint es mir eher einem Zerfallsprozess zu gleichen. Sind die älteren Dialoge noch geprägt von Emotionen, gegenseitigem Interesse und der Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit, so geschieht im Laufe der Zeit und besonders mit der Übertragung in das Medium Video die gewollte Emotionslosigkeit und der Banalismus.

TRANSFORMER – Gegenübertragung

Mich nerven diese Art oberflächlichen Gewohnheiten des Smalltalk. Was motiviert also dazu, sich mit einer fremden Person über Banalitäten zu unterhalten? Ein gegenseitiges Interesse muss erst künstlich erzeugt werden. Es wächst nicht natürlich von innen aus beiden heraus. Zudem sollte es möglichst emotionslos geschehen und leer sein, schließlich will man den Gesprächspartner nicht überfordern oder langweilen. Man hat sich in Wirklichkeit nichts zu sagen. Es ist weder Information, noch wahre Anteilnahme und erst recht keine emotionale Befriedigung. Sich über Banalitäten mit einer fremden Person zu unterhalten, nur der Unterhaltung wegen, könnte man in diesem Sinne als Kunst bezeichnen. Schließlich behauptet M.T. seine „Dialogues“ als Kunstprodukt. Wenn ich Kunst als Form der Kommunikation verstehe, ist es dann Kommunikation, wenn nichts kommuniziert wird? Kann man dies als Kunst behaupten, wenn das Kommunikationsbedürfnis unerfüllt bleibt? Müsste nicht zur Erfüllung desselben erst einmal auch eine emotionale Sättigung eintreten?

Ist der Smalltalk der Inbegriff der Ressourcenverschwendung? Sicherlich müsste man an dieser Stelle einen Soziologen befragen. Mein Kollege Friedrich Hausen meint, dass „der Smalltalk in der urbanen Welt ein Verhalten ist, oberflächliche soziale Anschlüsse aufrecht zu erhalten, also die Gewohnheit der wechselseitigen Kontaktaufnahme dient. Das Fehlen solcher Gewohnheiten könnten erhebliche Nachteile bedeuten.“ – Nachteile vor allem hinsichtlich des SocialNetworkings.Wie M.T. dennoch ein Inter sucht und mit den ihm bekannten Gesprächspartnern zunächst findet, so übt er sich in „Transformer“ im Smalltalk. Dennoch weiß er nicht, wer der/ die zukünftige Leser_in/ Zuhörer_in/ Konsument_in/ Dritte sein wird. Er kann nur hoffen, dass seine Arbeit „Transformer“ auf Interesse stößt. Und ich meine jenes uneigennützige Interesse, schlicht das Interesse, sich gegenseitig mitzuteilen, ohne opportunistische Motivation. Ich meine das Interesse, etwas über sich selber erfahren zu können beim Dialog mit dem Anderen – der Kunst.

M.T. heilt sich selber. Heilen kann die Kunst und für Heilung sollte es Geld geben. Der Priester in der Kirche wird auch für die bei ihm abgelegte Beichte bezahlt. Obgleich man sich in solcherlei Ausstellungen falsch fühlt, gibt es in der Kunst kein Richtig oder Falsch. Museen als Friedhöfe zu bezeichnen ist eine Sache, die Räume der zeitgenössischen Kunst mit Kirchenhallen im konspirativen Sinne eine Andere. Geneigt ohne Ziel dem Prozess freien Lauf zu lassen, will ich nur zwei Seiten füllen sowie auch M.T. dem scheinbar ziellosen Dialog nur zehn Minuten einräumt. Mehr Zeit lässt die Größe des Raumes (S T O R E) nicht zu. Wir bleiben im Zeit-Raum-Kontinuum und so entwickelt sich die Schleife. Sowie das aufgezeichnete Gespräch als Video in Schleife läuft, so ist auch diese Kunstrezeption als Schleife zu verstehen. Von daher ist es ein guter Zeitvertreib und deshalb auch schön zu erleben, es wirkt, meine Gedanken sind vom anfänglichen Misstrauen beruhigt.

Ich habe mir Zeit genommen. Danke für die Aufmerksamkeit.

Dank für Eure Impulse an Friedrich Hausen, Konstanze Schütze und Karolin Kaden